
Für die Ur-Emmetter ist Raymund Würsch kein unbeschriebenes Blatt. Er ist in Emmetten aufgewachsen und gehört zur Familie der „Schuenis“. Der Begriff „Schueni“ kommt daher, weil sein Großvater eine Schuhmacherei im Dorf betrieb. „Eigentlich bin ich ein Emmetter, der im Flüeli-Ranft wohnt“, komplettiert Raymund lachend, „Auch wenn ich mit meiner Familie im Flüeli-Ranft OW wohne, bin aber sehr viel in Emmetten. Dies einerseits, weil ich im Kohltal eine Hütte besitze und andererseits, weil ich am Samichlais-Trychlä, an der Älplerchilbi oder an anderen traditionellen Anlässen nicht fehlen darf.“
„Ich finde das gemeinsame, generationsübergreifende sehr wichtig.“, sagt Raymund, „Das geht in der heutigen, schnell lebigen Zeit immer mehr verloren.“ Und genau diese Werte findet er im Stieräbach-Derby. „Da kämpfen Jung und Alt in zwei Läufen um die möglichst kleinste Zeitdifferenz.“ Dies ist an und für sich nicht so eine Hexerei. Wären da nicht die einzigartigen Regeln, die das OK Stieräbach-Derby jedes Jahr neu vorschreibt. Skilänge von 99.9 cm, goldige Skistöcke, Holz-Schienbeinschoner, um nur einige zu erwähnen. Und sie lassen sich jedes Jahr wieder etwas Neues einfallen. Heuer soll es ein 99.9 cm langer Umhang wie der von Superman sein, die die Fahrer während des Rennes tragen sollen.
Wie passen das Kohltal mit Skirennen zusammen? „Eigentlich gar nicht. Aber genau das ist der Reiz an der ganzen Geschichte.“ Alle OK-Mitglieder haben eine Hütte im Kohltal. Außer Marc. „An einem Ostertag erkannten die Fünf, dass im Kohltal noch nie ein Skirennen durchgeführt wurde.“ Dann schnappte sich der erste ein Plastikbob, lief den Derby-Hang hinauf und schlittelte runter. Der zweite holte sich einen Güselsack und wenige Minuten später waren fast alle, mit irgendeinem Gefährt unter dem Hintern, auf der Strecke. Klappt. Das Stieräbach-Derby war geboren.

Etwas wagen, ungewöhnliche Ideen umsetzten, gemeinsam Hürden überwinden. Und Hürden gab es zuhauf. Angefangen bei der Vereinsgründung, wo ihnen die Bank mit den Vereinsunterlagen Steine in den Weg legte. Fast ein ganzes Jahr verging, bis sie ein Bankkonto eröffnen konnten. „Ich will doch nur ein einfaches Bankkonto, mehr nicht.“, flehte Raymund die Bankleute an und man sah seine Verzweiflung im Gesicht. Dabei haben sie für die Vereinsgründung extra drei Tage Sölden gebucht. Sie wollten eine optimale Umgebung für die Gründung. Füllten alle Bankunterlagen aus und unterschrieben das Gründungsprotokoll wie verlangt. Tage später bekam Raymund von Marc ein Whats app: „Hesch dui s’Gründigsprotokoll?“ Nein. Das lag irgendwo in Sölden. Vergessen.
Aufgeben war nie eine Option. Das Bankkonto ist inzwischen eröffnet. Doch weitere Hürden standen ihnen bevor. Zuviel Schnee. Oder kein Schnee. Beim Stieräbach-Derby gab es beide Varianten. „Im ersten Jahr hatten wir bis kurz vor Rennbeginn fast kein Schnee. Der Start drohte ins Wasser zu fallen. Dann schneite es eine Nacht so heftig, dass wir im Kohltal fast im Schnee versanken.“ Andere hätten den Event abgesagt. Nicht so diese Herren. Alle mit Schaufeln bewaffnet, präparierten sie die Piste und konnten das Rennen pünktlich starten. „Ein Jahr später präsentierte sich die Wettersituation andersherum. Kurz vor dem Derby regnete es derart, dass uns der Schnee buchstäblich unter den Füssen wegschmolz. Wir entwickelten die verrücktesten Ideen, wie wir mehr Schnee auf die Pisten bringen können. Mit Lastwagen Schnee von Engelberg holen. Die Rennstrecke mit Blachen decken, um den noch vorhandenen Schnee vor dem Schmelzen zu schützen. Aber auch in dieser Situation beweist Raymund und sein Team, dass wahre Magie entsteht, wenn Menschen zusammenkommen, um Hindernisse zu überwinden und Einzigartiges zu schaffen. Und die Rennpiste war im wahrsten Sinn des Wortes einzigartig. Wie eine Schlange schlängelte sich der Kurs über den Hang. „Niemand hat an ein Rennen geglaubt. Aber es war für uns ein besonderes Erlebnis, als die Fahrer im Kohltal ankamen und mit offenem Mund die Piste ansahen.“
Wiederholen war für Raymund und sein Team zu langweilig. „Ein Skigebiet ist erst ein Skigebiet, wenn es einen Skilift hat.“ Und sie wussten, dass in der ehemaligen Sessellift-Talstation ein Schlepplift rumliegt. „Da wir keine Million Franken auf der hohen Kante hatten, mussten wir den Schlepplift möglichst mit einfachen Mitteln zum Laufen bringen.“ Dabei erlebte das Team auf ihrem Weg Höhen und Tiefen, ihre Vision von einem Kohltalskilift zu verwirklichen. „Das Teil lag jahrelang verstaubt in einer Ecke und war schon längere Zeit nicht mehr im Betrieb.“ Mit vereinten Kräften und einheimischen Fachmänner schafften sie es, die erforderlichen Ersatzteile zu besorgen und den Schlepplift zum Laufen zu bringen. „Das nächste Problem stand aber schon auf der To-Do-Liste. Denn ein Skilift ohne Strom nützt keinem was. Also musste ein grosser Dieselgenerator ins Kohltal geschafft werden.“
Schaufeln oder nicht Schaufeln? Das ist hier die Frage. Das Stieräbach-Derby fand im März 2025 bereits zum vierten Mal statt. Einmal mit guten Schneeverhältnissen und zweimal mit magerem Schneeaufkommen. „Es sind bereits Diskussionen im Gange, ob sie bei viel Schnee ebenfalls eine schmale Rennstrecke rausschaufeln sollen oder nicht.“ Denn bereits zum Kult geworden ist die Tatsache, dass die Fahrer nur eine ca. 40 – 50 cm breite Rennstrecke vorfinden und keiner mit sauberen und trocknen Schuhen ins Dorf zurückkommt, weil der Platz vor der Hütte ein nasser und matschiger Ort ist. „Spätestens beim zweiten Mal kommen alle mit gutem Schuhwerk ins Kohltal.“
Skirenn-Pioniere im Kohltal. Der einzigartige Event zieht Menschen von nah und fern an. Und da es nur 64 Startplätze zu vergeben sind und die Nachfrage groß ist, werden frei gewordene Startplätze innert 32 Sekunden neu vergeben. Das Stieräbach-Derby zeigt aber auch großen Pioniergeist, um mit einer Vision und Gemeinschaft aus dem nichts ein Skirennen zu stampfen, der jedes Jahr viele Abenteuerlustige und Skibegeisterte ins Kohltal lockt. „Die Gäste, die ans Stieräbach-Derby kommen wollen, müssen sich viel Zeit einrechnen. Denn du kommst nur mit dem Shuttle-Bus ins Kohltal. Das bedeutet auch, dass du so schnell nicht mehr wieder nach Hause kommst.“ Das Stieräbach-Derby ist mehr als ein Rennen. Es ist ein Symbol für Gemeinschaft, Entschlossenheit und Pioniergeist. Der Event erinnert uns daran, wie wichtig es ist, Traditionen zu bewahren und gemeinsam Neues zu wagen. Lasst uns diese Inspiration mitnehmen und es auch in unserem Leben anwenden, um Momente zu schaffen, die uns verbinden und die unser Leben bereichern. Gemeinsam können wir Großes erreichen.